München war die Hauptstadt eines Landes in dem ich ohne persönliches Zutun geboren wurde, im April 1947. In Hohenpeißenberg südlich von München mit Alpenblick direkt auf die Zugspitze, dem höchsten Berg Deutschland 24/7.
Meine Erinnerungen beginnen etwa um 1951, als meine Mutter uns von unserer Spielwiese ins Haus rief, weil Flugzeuge mit lauten Propellern über dem Berg kreisten. Ich kannte damals die Zusammenhänge nicht, aber inzwischen weiß ich, dass damals ein neuer Krieg stattfand und diesmal in Korea. Ich war damals noch sehr jung und hatte keine Ahnung wo Korea ist, aber ich habe mir den Namen gemerkt.
Ich habe damals auch gehört, dass es eine große Stadt in der Nähe gibt, die München heißt. Sie war nur 50 Kilometer entfernt. Es hat dreizehn Jahre gebraucht, bis ich sie zum ersten Mal besuchen konnte. Bis dahin kannte ich nur Augsburg, die Hauptstadt von bayrisch Schwaben und auch nur weil ich beim umsteigen vom Weilheim nach Donauwörth einige Zeit auf den Anschlusszug warten musste, der mich nach Dillingen an der Donau brachte, wo ich im Missionsseminar der Benediktiner in der Admininstrationsgasse Nr. 5 als Zögling von meinen Eltern eingecheckt wurde um eine Ausbildung als Missionar im früheren Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania mit Außenstelle in Perhamio unweit des Njassasees oder Lake Nyasa zu beginnen.

Nähere Einzelheiten, warum meine Lebensplanung damals nicht so verlief, kann man demnächst auf meiner Homepage unter Personal History erfahren, aber heute geht es um das Oktoberfest in München, das zum ersten Mal seit 1949 dieses Jahr nicht stattfinden wird. Oktoberfest ist wie Kindergarten, Schadenfreude und Volkswagen eines der Wörter deutscher Sprache, die gerne auch im Ausland z.B. den Vereinigten Staaten verwendet werden. Aber davon hatte ich früher keine Ahnung, aber Briefmarken, die ich sammelte, um sie mir immer wieder anzusehen.
Im Herbst 1960 nahm unsere Mutter mich und meinen Bruder Fritzi zum ersten Mal mit zu einem Ausflug nach München zum Oktoberfest. Nach einer fauchenden Eisenbahnfahrt und langem Fußweg über die Bayerstraße zur Theresienwiese drückte sie meinem älteren Bruder Fritzi 5 Deutschmark in die Hand. Das geschah etwa 12 Uhr mittags an einem Pfahl mit einem Wegweiser zu den Toiletten gekrönt von er einer Laubsägearbeit, die einen kleinen Junge zeigt der einem Topf sitzt. Mutti sagte: „Wir treffen uns hier wieder um 4 Uhr nachmittags.“ Dann verschwand sie durch die Menschenmenge in die Richtung Innenstadt.
Wir hatten also vier Stunden Zeit, um Spiegelkabinette, Kettenkarusselle, Achterbahnen und gebrannte Mandeln oder Zuckerwatte zu testen. Dann haben wir eine Stunde am Wegweiser zum Klo auf Mutti gewartet, sind mit ihr zum Starnberger Bahnhof gelaufen und mit der fauchenden Dampflok zurück zu unserem Haus mit 24/7 Rundblick auf die Alpen gefahren.
Drei Jahre später, nachdem unsere Mutter das Haus mit dem Rundblick am Hohenpeißenberg gegen ein neugebautes Haus im Ortsteil Zell der Gemeinde Schäftlarn-Ebenhausen ausgetauscht hat, war ich wieder auf dem Oktoberfest. Diesmal mit meinem ältesten Bruder Jörg, der freiwillig einen Vertrag mit der Bundesluftwaffe abgeschlossen und im Besitz von Marken waren, die kostenlosen Verzehr von Bier und Grillhähnchen ermöglichten. Jörg lud mich und ein Mädchen, das er in Pullach abholte zum Verzehr seiner Coupons ins Löwenbräuzelt auf der Wiesen ein. Ich war stolz darauf dass ich ein ganzes Hendl und eine Maß Oktoberfestbier unter angenehmen Verhältnissen ohne Kotzen verdauen und späterem Wohlbefinden erleben konnte. Mit 16 Jahren hatte ich eine erstes Gefühl davon, wie toll es sein muss erwachsen zu sein und in München zu leben.
Zehn Jahre später war ich erwachsen, aber München hatte sich nicht verändert. Die Weltstadt mit Herz hat ihr Herz verkauft. Das ist der Lauf der Dinge, so ist es eben. Es begann lang bevor und das zu bedauern wird Nostalgie genannt. Genau davon lebt der Münchner. Er lebt in einer Weltstadt mit Blick auf die Alpen, auf denen die Gletscher schmelzen, die Feuchtgebiete drainiert werden, um das tägliche Duschwasser bereit zu halten, produziert Autos der Marke BMW, die international anerkannt die Umwelt verpesten und nach wie vor Bier, das die Hirne vernebelt aber einmal im Jahr 8 Millionen Alkoholiker aus aller Welt dazu bringt ihre Stadt zu besuchen. Das fällt dieses Jahr aus. Deshalb sollte jeder den entsprechenden Abgesang auf die nostalgischen Erinnerungen eine Stadt angucken, die die bierselige Vergangenheit dieser Weltstadt aus der Sicht der Jahrhundertwende beschreibt. Die fast fünf stündige Serie der ARD „Oktoberfest 1900“ ist voller Schmalz, aber auch Salz, voller Sülze und auch Schnulze, oder die, die noch wissen wer Thomas oder Rachel oder sonst wer ohne Facebook ist. Der Film selbst toll, könnte von Fellini sein, aber dafür zu lang. Von Fassbinder dafür nicht zu bissig, obgleich manchmal nahe dran. Wir leben eben mit Netflix und Lindenstraße History. Als ExMünchner bin ich voll dabei. Auch Heimatlose haben eine Heimat, sonst wären sie ja nicht los.

Ich krach mich lank

Diary